Tagung von LIS e. V.:

«Patientenverfügung: Willensentscheidung oder überflüssige Formalität?» (2)

Hr. Hans Schwegler Zunächst schilderte Hans Schwegler, Mitarbeiter am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, wie eine solidarisch über eine Stiftung geleistete vorbildliche Betreuung von schwerkranken Menschen aussehen kann, wenn nicht allein Kostengründe die Behandlung dominieren. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) als Akut- und Rehabilitationsklinik ist ein Teil in der Leistungskette der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG), zu der auch die Vereinigung (SPV), die Forschung (SPF) sowie die Stiftung (SPS) gehören. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum betreut schwerpunktmäßig Querschnittpatienten, nutzt seine Kompetenzen im Bereich der ganzheitlichen Rehabilitation aber auch für andere Patientengruppen, beispielsweise die neuro-muskulären Patienten. In der Schweiz fand man für die Finanzierungsprobleme eine spezifisch eidgenössische Lösung: Jeder, der möchte, kann mit 50 SFr. Monatlich Mitglied einer Stiftung werden, und sich so gleichzeitig für den Fall eigener Invalidität in Höhe von 500 000 SFr. versichern. Da dies in der Schweiz millionenfach getan worden ist, kann das Zentrum in Nottwil seinen Bewohnern eine optimale Therapie und Rehabilitation, und damit eine hohe Lebensqualität bieten. Dadurch sind viele Menschen von der Angst um die eigene, möglicherweise krankheitsbelastete Zukunft erlöst und haben verständlicherweise kaum ein Interesse, für diesen Fall "kostendämpfende" Vorausverfügungen zu treffen.

Dr. Karl-Heinz Pantke und Frau Jessica Schmidt Anschließend berichteten Dr. Pantke und Dipl. Heilpädagogin Jessica Schmidt von LIS e. V. sowie Angela Jansen, eine ALS-Patientin über die Einschätzung der eigenen Lebensqualität durch Schwerstbetroffene. Frau Schmidt hat bei Mitgliedern von LIS e. V. eine Umfrage durchgeführt, die zutage brachte, daß entgegen der allgemeinen Ansicht schwerstbetroffene Menschen ihre Lebenssituation nicht schlechter einschätzen, als Nichtbetroffene. Im Gegenteil: Ein überraschendes Ergebnis der Studie war, daß chronisch kranke und behinderte Menschen, wenn sie liebevoll im Kreise der Familie betreut wurden, ihre Lebensqualität sogar höher einschätzten, als die Mitglieder der gesunden Kontrollgruppe.
Frau Jansen (Mitte) Ein gutes Beispiel für diese Tatsache lieferte Frau Jansen, die trotz ihres schweren Schicksals und einer beeindruckenden Batterie von medizinischen Apparaten sich nicht hindern läßt, am Leben aktiv teilzunehmen. So reist sie durch die Welt und spielte auch schon in einer Produktion von Christoph Schlingensief am Theater, obwohl sie nur mithilfe eines Sprachcomputers kommunizieren kann. Fazit: Nicht der Gesundheitszustand ist bei der Bewertung der Lebensqualität entscheidend, sondern inwieweit es gelingt, trotz aller Einschränkungen am Leben teilzuhaben. Leben ist keine Konstante. Sein Wert ergibt sich aus der Situation. Herzlicher Applaus dankte ihr für ihren mutmachenden Bericht.

Frau Dr. Knop Ein heißes Eisen packte Frau Dr. Knops von der kirchlichen Hochschule Wuppertal in ihrem Beitrag an. Nach einem Überblick über die Geschichte der Veränderungen im Begriff von Krankheit und Gesundheit, die sie als eine fortschreitende Verdinglichung interpretierte, beleuchtete sie kritisch bestimmte Interpretationen der wichtigen Werte Autonomie und Selbstbestimmung. Im Zuge einer allein ökonomisch motivierten Sichtweise würden diese zunehmend nur noch negativ gefaßt. In dieser Situation falle der Gedanke einer Planbarkeit des eigenen Todes auf fruchtbaren Boden. Patientenverfügungen würden als Instrument angeboten, das Lebensende im voraus vernünftig und auf die eigenen Bedürfnisse abgehoben, abzuwickeln. Diese gegenwärtige Situation erhielt Konturen durch den historischen Rückblick und die pragmatische Frage: "Zu wessen Nutzen?" sowie den Blick auf die 20 jährige Erfahrungen mit Patientenverfügungen in den USA. Dort, wo eben Autonomie und Selbstbestimmung tatsächlich einen hohen Stellenwert haben, sind auch die Vorbehalte gegen Patientenverfügungen für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit groß. Dies sollte uns zu denken geben.

Prof. Dr. Andreas Zieger Prof. Dr. Andreas Zieger, Neurologe und ärztlicher Direktor der Abteilung für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte am Ev. Krankenhaus Oldenburg schilderte daraufhin die Problematik dieser Verfügungen, die in den meisten Fällen auf eine Form der legalisierten passiven Sterbehilfe durch Unterlassen lebensnotwendiger Hilfen hinauslaufen. Er warnte eindringlich davor, den Effekt der Schwellenherabsetzung von gesellschaftlichen Vorbehalten durch diese Diskussion zu unterschätzen. Denn letztlich entbinde keine Verfügung sowohl Arzt wie Patienten von der Verantwortung dem Leben, beziehungsweise sich selbst gegenüber. Der Diskurs um Gültigkeit, Anwendung und Reichweite von Patientenverfügungen von Menschen, die nicht zur Einwilligung in eine medizinische Behandlung aufgrund einer schweren Erkrankung oder Schädigung des Gehirns fähig sind (bewußtlose Notfälle, Menschen im Koma, Hirntodsyndrom, Wachkoma, im akuten Locked-in Syndrom) habe in der letzten Zeit deutlich an Schärfe zugenommen. "Bei unverändertem Wunsch, in Ruhe sterben zu können, und dem weitgehenden Konsens, ein solches Sterben auch tatsächlich zu ermöglichen, träten Differenzen in der Grundhaltung zum Menschsein und hinsichtlich der Mittel ihrer Umsetzung immer deutlicher zu Tage. Die Befürworter eines selbstbestimmten Sterbens fordern mehr oder weniger deutlich aktive Hilfe zum Sterben durch assistierte Tötung oder Selbstmord. Die Patientenverfügung wird hier als Instrument einer legalisierten, aktiven Sterbehilfe gesehen. Ob jedoch damit die weit verbreitete Angst vor dem Tod und vor Fremdbestimmung, Pflegeabhängigkeit und Schmerzen erfolgreich bekämpft werden kann, ist ebenso fraglich wie die häufig damit verbundene unwürdige Sterbehilfepraxis ("Sterbehilfe auf dem Parkplatz") selber bei gleichzeitiger Hinnahme unwürdiger Lebensbedingungen für Schwerstkranke und Sterbende.", so Prof. Zieger. Die Befürworter einer Hilfe beim Sterben, welche die Natur des Sterbens nicht verdrängten und eine Kultur fürsorglicher palliativer Begleitung praktizierten, wie auch gleichzeitig eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Schwerstkranke und Sterbende forderten, sähen in der Patientenverfügung den erklärten Willen eines individuellen Patienten in einer je einzigartigen Lebenssituation und Behandlungswirklichkeit. Diese sei als Arzt-Patient-Beziehung jedoch selbst prinzipiell unverfügbar, weil die Würde des Menschen verfassungsgemäß (objektiv) unantastbar ist. D.h. die Würde der Menschen in einer Behandlungssituation gebiete es schon jetzt ethisch und rechtsverbindlich, keine Behandlung ohne erklärten Patientenwillen oder medizinische Indikation durchzuführen. "Patient und Arzt sind in der Gestaltung einer Behandlungssituation als ein auf Anerkennung, Verantwortung, Kommunikation und Dialog beruhendes zwischenmenschliches Austauschverhältnis gegenseitig aufeinander angewiesen.", bemerkte Prof. Zieger abschließend, "Entscheidungen über Behandlungsmaßnahmen oder deren Verzicht in einer konkreten, individuellen Behandlungssituation können damit prinzipiell nur mit dem Patienten/Betreuer in dem verantwortlichen Behandlungsteam ethisch und rechtsverbindlich gefällt werden." Damit die heute noch vielerorts vorhandenen unwürdigen Lebensbedingungen Schwerstkranker und Sterbender in Intensivstationen, Krankenhäusern und Pflegeheimen als Nährboden für den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht mehr wirken könnten, sei der Ausbau einer palliativen/hospizlichen Medizin und Pflege dringend notwendig. Eine bloß weitergehende Verrechtlichung der Behandlungssituation mittels Patientenverfügungen würde die Arzt-Patient-Beziehung weiter auszuhöhlen und die Würde des Menschen geradezu erst antastbar machen.
Anhaltender Applaus dankte Prof. Zieger für seinen engagierten und erhellenden Beitrag.

Dr. med. Peter Ko0mehl Im Anschluß gab Dr. med. Peter Koßmehl, Neurologe und Rehabilitationsmediziner an der Neurologischen Rehabilitationsklinik Beelitz-Heilstätten, einen Überblick über die neuen Regelungen des Sozialgesetzbuches im Bereich der Rehabilitation und stellte dar, welche Fragen in den Rehabilitationskliniken auftreten, wenn der Patient krankheitsbedingt nicht mehr selbst über Art und Umfang der Therapien verfügen kann. Hier könnten, so Koßmehl, Vorausverfügungen eventuell sinnvoll sein, solange sie nicht zum Schaden des Patienten sind und der Fürsorgepflicht des Arztes zuwiderlaufen.

Frau Kühn und Hr. Dr. Pantke Abschließend berichtete Christine Kühn, Vorstandsmitglied von LIS e. V. aus ihrer langjährigen Angehörigenberatung: Leider zeigten die Erfahrungen der letzten Jahre, daß Behandlungszeiten von Locked-in Patienten immer mehr verkürzt würden, und das Locked-in Syndrom dadurch immer weiter in die Nähe einer nichtbehandelbaren Krankheit gerückt werde. Forderungen nach Therapieverstärkung von Seiten der Patienten und Angehörigen könnten in der Regel aus Personalmangel beziehungsweise Kostengründen nicht erfüllt werden; stattdessen würden Angehörige immer häufiger von Ärzten darauf hin angesprochen, im Falle einer Infektion auf lebensrettende Maßnahmen zu verzichten. Darin zeige sich der unheilvolle Einfluß der Patientenverfügungsdebatte bereits jetzt, obwohl eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, sei sie erkrankt oder nicht, negative Vorausverfügungen für die eigene Person im Falle einer Erkrankung ablehne.

Mit einem gemeinsamen Abendessen klang diese Tagung aus, die bei den Teilnehmern die Erkenntnis hinterließ, daß über das untaugliche Mittel der sogenannten Patientenverfügungen keinerlei Verbesserung für kranke und behinderte Menschen zu erreichen und zu erwarten ist.


Hr. Julius Deutsch Begleitend zu der Tagung fand eine Vorführung zur Unterstützten Kommunikation des Vereins kommhelp e. V. (Julius Deutsch und Julia Gniffke kommhelp e.V, D-14059 Berlin, Horstweg 25) statt, die über kostenlose und -günstige Kommunikationshilfsmittel informierte und großes Interesse fand. Der Verein schreibt dazu: "Jüngere Entwicklungen bei der Computer- und Kommunikationstechnologie haben dazu geführt, dass technisch anspruchsvolle Kommunikationshilfsmittel für Behinderte jetzt teilweise für weniger als hundert Euro verfügbar sind, die Kosten für einen Standard-PC nicht eingerechnet. Schnelle Breitbandleitungen, immer leistungsfähigere Prozessoren und der Siegeszug der digitalen Bildbearbeitung und -analyse haben aus der Videokonferenz für Top-Manager den Videochat für jedermann werden lassen. Und kaum eine Service-Hotline kommt heute noch ohne synthetische Sprache aus, die den Anrufer im Dialog durch das Menü führt. Als Nebenprodukte dieser Entwicklungen sind nun Programme verfügbar, mit denen man einen Computer nur durch Gesten (Zeigebewegungen) - ohne Maus und Tastatur - steuern kann und die bei verschiedenen Universitäten kostenlos als Freeware zum Download zur Verfügung stehen.
Ausgestattet mit einer Web-Kamera und einer Sprachausgabe wird so jeder moderne Standard-PC zu einer effektiven und preiswerten Kommunikationshilfe für motorisch behinderte Menschen. Jede Bewegung eines Körperteils kann als Geste erfasst und zu Steuerung des Computers verwendet werden.
Allein das Schreiben von Texten bleibt auch mit Gesten immer noch mühsam und zeitaufwendig. Es ist wie Tippen mit einem Finger.
Das gestengesteuerte Texteingabe-Programm DASHER bietet mit seinem völlig neuen Eingabe-Prinzip eine unkonventionelle und elegante Lösung dieses Problems. Auch wenn DASHER nicht mit einem geübten Zehn-Finger-Schreibers konkurrieren kann, erlaubt sein Textvorhersage-Modell eine deutlich höhere Schreibgeschwindigkeit als ein Ein-Finger-System.
Wir stellen verschiedene, kostenlos verfügbare Programme vor, die aus einem Standard-Computer eine preiswerte und vielseitige Kommunikationshilfe machen. Wenn Sie vorab sich informieren wollen: http://www.kommhelp.de/freeware."